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Das Kriegsende in Heilbronn und der Region – Gedanken zum 80. Jahrestag

Schnabel Kriegsende„Hätten die Deutschen ihr Vaterland wirklich geliebt, dann hätten sie es nicht so verteidigt!“

Diese nur auf den ersten Blick widersprüchliche These ist der grundlegende Gedanke, der den Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 1 des Theodor-Heuss-Gymnasiums in besonders eindrücklicher Weise vermittelt wurde, durfte die Schule doch einen ausgewiesenen Experten zu einem fachkundigen Vortrag begrüßen. Der Gründungsdirektor des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg und Vorsitzende des Historischen Vereins Heilbronn, Prof. Dr. Thomas Schnabel, sprach am 27. Mai 2025 in der Alten Kelter über das nun 80 Jahre zurückliegende Kriegsende in Heilbronn und der Region Franken.

Vermittelt wurden zunächst der Zerfall des deutschen Machtbereiches ab 1943 mit der Kriegswende in Stalingrad, das Ende des deutschen Vormarsches 1942 in El Alamein und der Zustand des Deutschen Reiches 1944/45 bis zur Kapitulation.

Anschließend kam Prof. Schnabel zum Kern seiner Argumentation und zitierte den Schwur des Reichskanzlers Hitler auf die Weimarer Reichsverfassung: „Ich werde meine Kraft für das Wohl des deutschen Volkes einsetzen“, um dann eindrucksvoll die Statistiken über die Todeszahlen deutscher Soldaten darzulegen: die deutschen Verluste allein 1944 betrugen 1.802 000 Menschen, im Jahr 1945, in welchem die Kampfhandlungen nur bis Mai andauerten, 1.560 000: das waren 29 % aller Kriegstoten nur in diesen fünf Monaten; im Januar 1945 lassen sich aus der Statistik 15 000 Tote pro Tag errechnen. Somit wäre schon 1943 der Zeitpunkt gewesen, den Krieg zu beenden, aber ein fanatisches und fanatisiertes Volk kämpfte weiter bis zum völligen Untergang. Im letzten Kriegsjahr kamen genauso viele Soldaten um wie in den fünf Jahren zuvor und 90 % der Zivilisten. Und hinter all diesen Zahlen verbergen sich individuelle Schicksale.

Der Bezug zu Heilbronn liegt auf der Hand: Die fast völlige Zerstörung am 4. Dezember 1944 geschah zu einem Zeitpunkt, als der Krieg für Deutschland schon lange verloren war. Das Weiterkämpfen geschah nur zum Machterhalt der Nationalsozialisten und Prof. Schnabel sagte es deutlich: „Millionen Deutsche wurden verheizt!“ Heilbronn und viele andere Städte wären nicht zerstört worden, hätte die deutsche Regierung den Krieg früher beendet. Eine weitere Statistik machte die Schülerinnen und Schüler besonders betroffen, denn diese zeigte die Toten bzgl. der Geburtsjahre: Insbesondere die Jahrgänge der 15- bis 20-Jährigen haben die größten Anteile der Toten, so starben in diesen letzten Monaten ein Drittel der 19-Jährigen. Auch hier ließ Prof. Schnabel keinerlei Deutlichkeit vermissen: „Dies war eine Vernichtungspolitik gegenüber dem eigenen Volk!“

Spätestens an dieser Stelle stellt sich die Frage, was es für Menschen in heutigen Kriegsregionen, z.B. in Gaza und der Ukraine, bedeutet, wenn Bomben fallen oder wenn in unserer Mitte, in unserer Nachbarschaft, in unseren Klassen Menschen sind, die so etwas erlebt haben. Professor Schnabel stellte auch diesen Bezug her. Erneut wurde dann der Bogen zu Heilbronn gespannt: Der als besonders brutal und rücksichtslos bekannte Kreisleiter Richard Drauz setzte durch, dass Heilbronn, obwohl bereits völlig zerstört, noch vor den anrückenden US-Soldaten verteidigt wird. Die Karten mit dem nur langsam vorankommenden Frontverlauf aus den Apriltagen 1945 zeigt den Fanatismus der Deutschen, der letztlich zum „war in ruins“ (so der Titel eines Buches des amerikanischen Historikers Edward G. Longacre über den Endkampf in Heilbronn) führte: Ein völlig unnötiger Häuserkampf, der gerade in Heilbronn und der Region nochmals zu heftigen Exzessen führte. Nochmals starben allein im Heilbronner Raum 2000 deutsche Soldaten, 600 US-Soldaten und einige hundert Zivilisten. Viele Städte und Dörfer wie Löwenstein, Neuenstadt, Waldenburg, Crailsheim, Ilshofen und Wolpertshausen wurden so doch noch in den letzten Kriegstagen zerstört.

Sprachlos machen die vermeintlich kleinen Begebenheiten der letzten Kriegstage, über die Prof. Schnabel zu berichten wusste: Am Beispiel der Männer von Brettheim zeigt sich, wie aufgehetzt gerade auch die Jugendlichen waren. In Brettheim wurden drei Männer hingerichtet, die HJ-Jungen heimgeschickt hatten, weil diese das Dorf verteidigen wollten. Die Jungen denunzierten die Männer, diese wurden aufgehängt und das Dorf zerstört, weil es aus Angst vor dem NS-Terror nicht kapitulierte. Auf seinem Rückzug Richtung Gaffenberg ließ Kreisleiter Drauz wenige Stunden, bevor die Stadt an die US-Militärs übergeben wurde, deutsche Zivilisten hinrichten, weil diese eine weiße Fahne aus dem Fenster gehängt hatten. Aus den Quellen geht hervor, dass sogar noch nach der Kapitulation ein „Deserteur“ hingerichtet wurde.

Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt: Die meisten der Täter wurden nach dem Krieg freigesprochen oder als lediglich „minderbelastet“ eingestuft und kamen schnell wieder in Amt und Würden, was auch die Biografie des ehemaligen Rektors des THG, Karl Epting, belegt. Aber in einer Diktatur musste man doch mitmachen, man hatte doch keine andere Wahl? Auch diese Denkweise griff Prof. Schnabel auf, um sie zumindest stark zu relativieren: Anhand der Kostenrechnung über 403 RM für die Hinrichtung des Heilbronners Willy Fröhle, die seine Verlobte erhielt, wurde deutlich: Die individuelle Verantwortung kann einem Menschen niemand abnehmen. Willy Fröhle wurde nämlich von einer Kollegin wegen angeblich defätistischer Äußerungen denunziert. Dies hätte sie nicht tun müssen. Manchmal kommt es eben nicht darauf an, was man macht, sondern, was man auch einmal NICHT macht.

80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges fand Prof. Schnabel auch deutliche Worte für diejenigen, die auch heute wieder ihre angebliche Deutschlandliebe in politische Münze umzuwandeln versuchen und formulierte somit eine eindrückliche Lehre aus den Geschehnissen in und um Heilbronn: „Hätten die Deutschen ihr Vaterland wirklich geliebt, dann hätten sie es nicht so verteidigt!“

Bericht und Fotos: Jens Breitschwerdt

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